Anthroposophische Frühförderung
Frühförderung umfasst alle ärztlichen, therapeutischen und heilpädagogischen Hilfen, die ein in seiner Entwicklung beeinträchtigtes Kind in seinen ersten Lebensjahren benötigt. Sie ist notwendig, weil in dieser Zeit die Folgewirkungen kausaler Schädigungen in vielen Fällen noch nicht erstarrt und deshalb behandelbar sind.
Drei umfassende Entwicklungsphasen bestimmen die ersten Lebensjahre, das Aufrichten, Stehen und Gehen, dann die Entwicklung des Sprechens, schließlich die Ausbildung des Denkens. Auf der Grundlage dieser drei Entwicklungsschritte entfaltet sich im Kind sein Bewusstsein mit den wachsenden Fähigkeiten des erkennenden und planenden Denkens, des Fühlens, des Handelns und die Fähigkeit, sich als eigene Persönlichkeit empfinden und sich gegenüber seinen Mitmenschen sowohl abgrenzen als auch aktiv sozial mit ihnen kommunizieren zu können.
In der ersten Phase des Aufrichtens, Stehens und freien Gehens entsteht seelisch ein anfängliches freies körperliches Selbstwertgefühl und die Möglichkeit, den umgebenden Lebensraum erfahren und sich erwerben zu können. Verbunden damit entfalten sich Lebens-, Handlungs- und Spielfreude. Es folgt als nächster Schritt die Entwicklung des Sprachverständnisses und des sprachlichen Ausdrucks und damit die Fähigkeit, bewusst und seelisch mit den Mitmenschen verkehren zu können. Als dritte Phase entfaltet sich das Denken, zunächst als reine Empfindung, das dann zunehmend geformter, konturierter, bewusster, inhaltsreicher und zur kognitiven Fähigkeit wird, eigene Gedanken bilden und die von anderen übernehmen zu können.
Störungen in diesen drei Entwicklungsphasen, die selten isoliert, meist in Kombination, mit unterschiedlicher Ausprägung und individuell sehr differenziert auftreten, erfordern ein breites Spektrum spezieller adäquater Therapien. In unserem Haus stehen hierfür unterschiedliche physiotherapeutische Maßnahmen zur Verfügung, sowie spezielle logopädische Behandlungen und künstlerische Therapien als Musiktherapie, Eurythmie und Heileurythmie. Wir geben sie in der Regel als Einzeltherapien. Sie dienen insbesondere der Behandlung der körperlichen und seelischen Entwicklungsdefizite des Kindes.
Das spezifisch strukturierte Förderprogramm unserer deutlich therapeutisch ausgerichteten heilpädagogischen Kleingruppen greift das in den Einzeltherapien Geübte auf, führt es in die tatsächliche Lebenswirklichkeit der Kinder und verbindet es mit deren Ich-Persönlichkeit.
Wir berücksichtigen, soweit erforderlich und sinnvoll, die gängigen modernen klinisch-medizinischen und psychologischen Diagnose- und Behandlungsverfahren. Im Besonderen stützt sich unser Frühförderprogramm, heilpädagogisch modifiziert, auf die Lehrpläne der Waldorfkindergärten und Waldorfschulen und auf die anthroposophische Heilpädagogik. Diese ist in einer Vielzahl von Arbeitsfeldern tätig: In der Frühförderung, in heilpädagogischen Tagesschulen, Heimsonderschulen, Behindertenwerkstätten, Lebens- und Dorfgemeinschaften für erwachsene Behinderte, in der Drogenhilfe. Hierfür stehen ihr, entsprechend der jeweiligen Zielgruppe, pädagogische, therapeutische und sozialtherapeutische Möglichkeiten zur Verfügung.
In unserer Einrichtung arbeiten wir u.a. heilpädagogisch-diagnostisch spezifisch mit einem System von Konstitutionstypen, bei denen zumeist physisch-körperliche Merkmale mit seelischen Äquivalenten korrespondieren. Sie erscheinen oft als polare Gegensätze, worauf Rudolf Steiner in seinem Heilpädagogischen Kurs hinwies und eine Reihe von Beispielen gab. Die so genannte Heilpädagogische Uhr (nach Karl König, in unserem Haus weiter entwickelt in Verbindung mit den Erkenntnissen der heutigen Kinderpsychiatrie) ist ein noch umfassenderes System derartiger polarer psychosomatischer Konstitutionstypen. Sie wird systematisch in unserer Einrichtung angewandt und dient insbesondere in unseren Kinderbesprechungen dazu, das diagnostische Erkennen eines Kindes in ein effektives heilpädagogisches und therapeutisches Handeln umsetzen zu können.